TAZ 23.04.2005
Die, die VW-Bosse zwickt
Mobbing bei Europas größtem Autobauer?
Bei Margit Ricarda Rolf haben sich 240 Betroffene gemeldet.
Um auf der VW-Hauptversammlung sprechen zu können,
kaufte sie eigens Aktien
AUS HAMBURG KAI SCHÖNEBERG
Millionenverluste in den USA, Absatzkrise in China,
bei VW und die miese Dax-Performance.
Die Liste der Klagen, die sich Bernd Pischetsrieder
auf dieser 45. Hauptversammlung anhören muss, ist lang.
So lang, dass der Vorstandschef von Europas größtem Autobauer
häufiger als ihm lieb sein kann vor 2.700 Aktionären im Hamburger
Congress Centrum das Haupt senkt, um sich in imaginäre Papiere zu vertiefen
– wie ein Schuljunge, der bei einem Streich ertappt worden ist.
Die meisten Zwischenrufe, den größten Beifall und einen Bernd Pischetsrieder,
der besonders intensiv in die Unterlagen stiert, gibt es an diesem Donnerstag
allerdings nach dem Auftritt von Margit Ricarda Rolf:
„Seit einiger Zeit steigt die Zahl der Fälle und die der inneren Kündigungen bei VW an“, sagt die Chefin der Hamburger Mobbing-Zentrale.
Mit fester Stimme erzählt Rolf, dass sie einen Arbeitskreis gründet, wenn bei ihr
mehr als drei Beschwerden aus einer Firma auflaufen.
Seit der Gründung des „Arbeitskreises VW“ haben sich 240 Mitarbeiter aus allen Konzernteilen an sie gewendet, manche mit Namen, manche anonym.
Weil VW mittlerweile „das Unternehmen mit den meisten Fällen überhaupt“ sei,
habe sie sich drei Aktien à 33 Euro gekauft hat, um auf der Aktionärsversammlung
mit Pischetsrieder reden zu können.
Ihre Briefe habe der VW-Boss ja bislang nicht beantwortet.
„Herr Pischetsrieder, wann wollen Sie die Not der Beschäftigten in Baunatal,
in Wolfsburg, in der Autostadt, in Barcelona ernst nehmen?“, fragt Rolf.
Und, in Richtung Aktionäre:
„Wir bitten Sie, Vorstand und Aufsichtsrat nicht zu entlasten.“
Natürlich stimmen an diesem Tag 99 Prozent der Teilhaber für die Entlastung der Bosse. Natürlich hat die zierliche Frau mit dem roten Blazer sich nicht eingebildet, Pischetsrieder stürzen zu können. „Aber ich kann ihn zwicken“, sagt Rolf.
Auch die einstige Beamtin hat ihre Mobbing-Geschichte.
Als Rolf nach der Kinderpause in einer Kantine in Hamburg Billbrock anfing,
fühlte sie sich dort seelisch so vergewaltigt, dass sie sich ihr Trauma in einem Buch namens „Ameise gegen Giganten“ von der Seele schrieb. Vor acht Jahren fing sie als Beraterin und Mediatorin an. – Heute hat sie 1.000 Fälle pro Jahr.
Mobbing ist Alltag: Rolf hat bei der Telekom Mitarbeiter ohne Aufgaben,
in Krankenhäusern OP-Schwestern, die nur noch putzen dürfen und in einer
Firma eine Schwangere erlebt, die nur noch Kisten schleppen durfte.
„Einer gegen einen, das ist ein Konflikt“, sagt die 51-Jährige.
„Einer gegen ein Bündel, das ist Mobbing.“
Ihr erster Fall war eine Frau, die 17 Jahre in einem Kontorhaus gemobbt wurde:
„Die habe ich ins Krankenhaus geschickt.“
Inzwischen will sie ein Netzwerk von 500 Beratern,
Psychiatern und Selbsthilfegruppen aufgebaut haben,
einzigartig in Deutschland.
Angefangen hat der Fall VW für die Mobbing-Zentrale mit dem Fall Rainer Beutler. Beutler arbeitete zwanzig Jahre im Werk in Baunatal. Heute ist er ein gebrochener Mann. „Ich habe nichts Verkehrtes getan, nur darauf hingewiesen, dass die neuen Getriebe beim Golf defekt sind“, behauptet Beutler. Auch, dass ihm Kollegen Verbesserungsvorschläge klauten, um dafür von VW belohnt zu werden.
Beutler hat sich mit dem Konzern und dem Betriebsrat überworfen, auch mit seiner Gewerkschaft, der IG Metall. Es gab Gerichtsverfahren, Beutler kassierte bündelweise Abmahnungen, Weihnachten 2003 die Kündigung. Angeblich sagten ihm VW-Mitarbeiter, dass sie ihn „fertig machen“ würden. Beutler schrieb dem Kanzler.
Er betont: „Wir sind keine Spinner!“
Bernd Pischetsrieder sagt an diesem Tag, der Konzern betreibe keine Vogel-Strauß-Politik. Und, dass der Fall Beutler unter viele Begriffe falle, „nur nicht unter den Begriff ‚Mobbing‘.“ Personalchef Peter Hartz sagt, die Mobbing-Richtlinie des Konzerns
(siehe Kasten) sei doch ein „gutes Beispiel für pro-aktives Tun“.
Und, dass die Mobbing-Zentrale für VW „aufgrund unserer Einschätzung“
kein „hilfreicher Partner“ sei.
blog.mobbing-zentrale.de
http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2005/04/23/a0364